und übrigens
Wie für Kleinkaliberschützen, Westernreiterinnen oder Nutriakaninchenzüchter gibt es glücklicherweise auch für Eltern Zeitschriften,aus denen sich lernen liesse, wie Wölfe, Bären und andere Raubtiere optimal zu erziehen wären. Kluge Leute schreiben darin wichtige Dinge, etwa über „cooler lernen“ oder tierkreiszeichengerechte Ferien mit Kindern (der Wolf, so lerne ich, ist ein Erdkind und braucht Strukturen, wogegen der Bär als typisches Wasserkind vor allem Geborgenheit nötig hat für ein unbeschwertes Ferienerlebnis). Solche Dinge machen zwar die Ferienplanung mitnichten einfacher, aber möglicherweise ist es wichtig, solches zu wissen als Eltern. Irgendwann wird sonst ein Erziehungsfachmensch verächtlich die Augenbrauen hochziehen und murmeln: Sie sind mit dem Wolf nach Kreta geflogen? Kein Wunder, dass er sich mit dem Soziokulturellen so schwer tut.
Manchmal aber muss man selbst als bildungsbewusster Elternteil misstrauisch werden. Etwa, wenn man Ernährungstipps von Frau Botta Diener liest. Die Tipps sind zwar gut, aber, hey: die Frau ist Lebensmittelingenieurin ETH, Fachlehrerin, Buchautorin und hat sieben Kinder. Sie muss eine Ausserirdische sein, nicht zuletzt deshalb, weil sie auf dem Bild in der Zeitschrift so entspannt und faltenlos in die Kamera lächelt. Und vielleicht auch ein bisschen, weil sie und ihre sieben Kinder sich vor jedem Essen die Hand reichen und sagen „en Guete mitenand“. Schreibt sie selber, wirklich wahr.
Anlass zur Skepsis bietet auch ein Test in derselben Zeitschrift, mit dessen Hilfe sich der Anstandslevel von Wolf und Bär ermitteln liesse. Vor allem, finde ich, Frage 7:
Es klingelt an der Haustür. Ihr Kind öffnet und lässt ein Ihnen unbekanntes Wesen gleichen Alters ein. Ihr Nachwuchs...
a)...ruft Ihnen zu: „Wir wollen zusammen Mathe lerne“ und verschwindet mit dem jungen Gast in seinem Zimmer.
b)...ignoriert Sie und verschwindet mit dem jungen Gast in seinem Zimmer.
c)kommt zu Ihnen und sagt: „Das ist Tobias (oder Sarah). Wir gehen in die gleiche Klasse und wollen zusammen Mathe lernen. Tobias (oder Sarah), das ist meine Mutter (mein Vater).
Mal abgesehen davon, dass ich Tobias oder Sarah wahrscheinlich kennen würde (ich gehe schliesslich an jede Elternsprechstunde): Das mit dem Mathe lernen kann nur eine plumpe Lüge sein, oder? Und ist schamloses Flunkern etwa anständig? Ich beschloss also: 832476 Punkte für den Wolf und den Bären. (Bloss an den Tischmanieren müssen wir noch etwas feilen.) Wohlerzogenen Dank für Ihre Geduld beim Lesen dieses Textes. Ich geh jetzt Mathe lernen.
chamäleon123 - 2. Sep, 13:05
Das mit dem Farben wechseln wird uns Chamäleons übrigens mitnichten als nützliche Fähigkeit nachgesagt. Manche von uns leiden nämlich deshalb an einer chronischen Farbenwechselerschöpfung, die sich in einem blässlichen Dauerbeige manifestiert: Schluss mit knalligem Rot und spritzigem Grün! Der Farbenwechsel erfolgt in der Regel nicht gemächlich und nur in Notfällen, wie dies die Natur vorgesehen hätte. Nein: im Alltag wechseln wir gleich mehrmals täglich die Farbe komplett und dies nicht nur, wenn wir uns auch äusserlich unseren mannigfaltigen Funktionen perfekt anpassen wollen.

Ich etwa plaudere beim Einkaufen mit einer perfekten Hausfrau – kurz danach gehe ich gramerfüllt heim in unser chaotisches Eigenheim und schreibe sehr lange to-do-Listen, mit deren Hilfe ich all unseren Räumen in nur 76876 Tagen zur Zen-würdigen Klarheit verschaffen will. Freunde ich mich mit einer klugen Philosophin an, habe ich nach drei Gesprächen die nagende Gewissheit: ich weiss, dass ich nichts weiss. Und lese hektisch „Seneca für Gestresste“. Lese ich im Blog einer engagierten
Politikerin, schwappt die Scham über meine dürftigen Anstrengungen für eine bessere Welt wie eine Welle über mich. Diskutiere ich mit einem emsigen Leser, plagt mich das Gefühl, die falschen Bücher zu lesen. Treffe ich auf eine vorbildliche Mutter, verzweifle ich über meine gelegentliche Ungeduld mit Wolf und Bär und wenn Frau Topfit die Strasse entlang joggt und mir topfit zuwinkt, nun..
Natürlich könnte ich all diese Gedankengänge einfach dem Schlechten Gewissen in die Schuhe schieben und auch Ernst hat wohl seine Wurstfinger wieder mal im Spiel. Aber in Wahrheit ist es eben typisch Chamäleon: immer flugs die Farbe wechseln und sich schön unsichtbar machen dabei. Da hilft wohl nur: Farbe bekennen.
chamäleon123 - 13. Aug, 11:31
Farbenwechselnde Chamäleons habens ja von Natur aus nicht so mit dem blutroten Nationalstolz. Aber heute abend sehen wir natürlich rot-weiss - so oder so. Sehr gerne würde ich - hätte ich den roten Halbmond neben der italienischen Tricolore und dem Schweizerkreuz ebenfalls in Textil - beide Flaggen nebeneinander aus dem Fenster hängen. Und sei`s nur, um die Nachbarn gehörig zu ärgern.
Denn: was könnte jetzt subversiver sein, als keine Partei zu ergreifen?

chamäleon123 - 11. Jun, 19:48
"Ich fürchte, intelligente Frauen werden gar nicht darum herumkommen, sich wieder zum Feminismus zu bekennen. Einige Optimistinnen haben wahrscheinlich geglaubt, der Kampf um Gleichberechtigung würde sich in dem Moment erledigen, in dem sie die Gelegenheit bekommen, ihre Fähigkeiten zu beweisen, und ihre Sache gut machen. "
Schriftstellerin Karen Duve in
Zeit online
chamäleon123 - 26. Mai, 12:57

Verfügte mein Gehirn über ein Repertoire dramatischer Gesten, würde es quasi jeden Morgen die Hände verrühren.
"Alles schon mal gedacht!", meldet es jeweils resigniert, wenn sich des Chamäleons Denkwerk knarzend und quietschend in Bewegung setzt, um sich sofort irgendetwas Faszinierendem oder Unverständlichem zu widmen: Dem Einfluss von Fernsehsendungen auf die frühkindliche Prägung von Gewohnheiten und Vorlieben, dem Lohngefälle und dem grossen Geheimnis, das hierzulande daraus gemacht wird, der Daseinsberechtigung von Löwenzahn oder Zecken, der Vergänglichkeit des Daseins.
Aber: das Gehirn reagiert zunehmend gereizt auf solche Gymnastik:
"Alles schon mal überlegt, reflektiert, zu Ende geplant, realisiert, verworfen. Alles schon gemalt, geschrieben, konstruiert und verkauft." meldet es ironisch, erlaubt einen kurzen Gedanken an die Millionen Dissertationen, die nahezu ungelesen in universitären Archiven zu Staub zerfallen und verlangt nach Drogen: dumpfe Fernsehserien, Frauenzeitschriften, Weblogs wie diesen, in denen Leute schreibend um Aufmerksamkeit heischen, die sie im realen Leben nicht bekommen. Es ist nicht dumm, das Gehirn und es weiss genau, wie es den trügerischen Schleier, der sich hochtrabend "Sinn" nennt, mit einem
ratsch wegzurren kann.
"Wozu denken, wenn alle Arbeit schon erledigt ist?" lässt es faul fragen - und man mag darüber gar nicht nachdenken.
chamäleon123 - 15. Mai, 08:23
...das euphorische Gefühl, wenn man eine Arbeit, die einem schon seit Tagen auf dem Magen liegt - weil man sich partout keine Blösse geben möchte, aber insgeheim ganz genau weiss, dass man viel zu wenig über dieses Thema weiss - endlich ruckzuck erledigt hat. Oder zumindest den üblen Teil davon. Der Rest ist - och, sagen wir: Kür.
chamäleon123 - 13. Mai, 12:17
Was ich auch nicht verstehe, echt, ist die Sache mit dem Spontansein. Ich bin sowas von unspontan, ich werde nicht gerne überrascht und ich mag es nicht, wenn am Sonntag um ein Uhr nachmittags spontan mal Leute vorbeikommen und fröhlich "Hallo" rufen im Korridor. Ich werde auch nicht gerne eingeladen, ganz spontan und wer jetzt von mir denkt, ich sei eine ganz und gar seltsame Zeitgenossin, so ist mir das ehrlich gesagt, ganz gleich: man kennt mich ja nicht, hier.
Jedenfalls: das mit dem Spontansein ist mir ein Rätsel. Denn tagaus tagein verlangt mir das Leben mit einem Wolf und einem Bären, einem Liebsten und einem Ernst, einem alten Haus und einem wilden Garten und dazu zwei Arbeiten vor allem eines ab: akribische Planung der gegebenen und umsichtige Vorausplanung der allfällig möglichen und vielleicht eintreffenden Vorfälle. Ich muss alles und jedes in Betracht ziehen, muss blitzschnell umdisponieren, wenn die Musikstunde des Wolfes ausfällt oder der Bär von der Schule heimkommt und sagt, er brauche jetzt sofort 23 leere Joghurtbecher und ein weisses T-Shirt in Grösse 164 und ich eigentlich unbedingt und auf Biegen und Brechen in der nächsten halben Stunde ein ansehnliches Stück Arbeit 2 beendet haben muss. Da ist nämlich auch niemand spontan, auf der Chefetage, und sagt milde: Och, halb so wild. Hetz Dich mal nicht so ungesund ab und lass Dir Zeit. Nein.
Trotzdem gilt Spontansein als eine grosse Tugend und man erntet nichts als Anerkennung, wenn man alles sofort beiseitewerfen kann, was man gerade in Händen hält (Kochkelle, Buch, Aktentasche, das Brett, das man normalerweise vor dem Kopf trägt) und spontan auf ein Gläschen in die Kulturbar kommt oder zum Tanzen oder eben als Gastgeberin spontan die Torte aus dem Kühlschrank holt und gutgelaunt auf den Tisch zaubert. Denn man soll ja nicht nur spontan, sondern auch fröhlich und aufgestellt sein, dankbar gar, wenn man mit Aktivitätsvorschlägen hinterrücks überrumpelt wird.
Ach. Uebrigens - hat nicht jemand Lust auf ein Gläschen, so ganz spontan?
chamäleon123 - 29. Apr, 20:48
Es ist ja manchmal auch so, dass man von seiner Tätigkeit als Wolf- und Bärenmutter ganz einfach nichts erzählen könnte, was sich nicht irgendwie belanglos und banal anhören würde. Das heisst nicht, dass es das auch wäre. Wirklich, ganz im Gegenteil. Aber wie erklärt man jemandem, der einen nach der durchaus ernstgemeinten Begrüssungsumarmung die ebenso gemeinte Frage stellt: Und? Was hast Du so gemacht? Darauf gibt es, genauso wie auf die ähnlich ertwartungsvolle Frage: Und? Wie geht es Dir? eigentlich nur eine mögliche Art von Antwort: man sagt zu einen Frage: Gut. Und Dir? Und zückt als Replik auf die andere Frage raschmöglichst die bedeutendsten Ereignisse der letzten Tage, Wochen oder Monate um blitzschnell Bilanz zu ziehen: Mit Regierungsrat M. geplaudert. An der Sitzung Traktandum X durchgeboxt. Für Arbeit 2 mindestens 4 ziemlich interessanten oder sehr wichtigen Personen begegnet, falls möglich am besten Promis. Kurse absolviert. Weiterbildungen eingefädelt. Prüfungen bestanden. Kurz: was einem im Leben halt so weiterbringt.
Aber als Momentanverweigererin ist das gar nicht so einfach. Sich mühevoll Ernst vom Hals haltend und sich angestrengt an eine Art Zen-Punkt des Alltags heranpirschend, fallen Kurse und Promis eben zwischen Stuhl und Bank. Man ahnt, dass suchen nicht unbedingt eine aktive Tätigkeit sein muss. Und lächelt ratlos auf die Gretchenfrage der Vorwärtsstrebenden. Weil: gemacht, so richtig, hat man ja eigentlich nichts. Die Ungeduld gezähmt im Allltag mit Wolf und Bär. Die Hektik im Zaum gehalten beim Switchen zwischen Arbeit 1 (Kind & Kegel) und Arbeit 2 (Schreibtisch & Intrigen). Ernst die Tür gewiesen. Sport getrieben, regelmässig und begeistert. Der Grossmutter zugehört und auf den Horizont gestarrt, frohgemut. Eine Leistung ist das alles, sakrament, aber: wem erzähl ich das? Und vor allem: wie?
chamäleon123 - 26. Apr, 20:53
Es ist ja nicht so, dass ich gar nichts Ehrenamtliches mehr täte. Zum Beispiel sitze ich mehrmals jährlich für mehrere Stunden in einem Ausschuss, in dem es hauptsächlich darum geht, gute Ideen für eine Institution hervorzusprudeln oder aber zu -bröseln.
An der letzten Sitzung allerdings habe ich nicht einmal mehr gebröselt. ZU sehr lenkte mich mein gegenübersitzender Ausschusskollege ab, der - unter uns gesagt - eigentlich nie auch nur ein einziges Wort sagt. Auch kein kreatives.
Er sitzt da, schaut entrückt in die Ferne und nickt ab und zu vergeistigt, während der Ausschuss sich ereifert, debattiert, abschweift, referiert und kreatives Wirrwar absondert, aus dem sich ab und zu gute Ideen herausschälen lassen.
Er aber schweigt. Mein Kollege ist ein netter Mensch, ohne jeden Zweifel, aber an der letzten Sitzung machte ich statt kreatives Brainstorming fieberhaft nichts als Hochrechnungen: wieviele Stunden pro Jahr verbringt der schweigsame Beisitzer wohl insgesamt schweigend an verschiedenen Fachsitzungen, rechnete ich zunehmend fassungslos aus? Wieviele stille Sitzungsmitglieder sitzen jedes Jahr ohne ein Wort zu sagen an unzähligen Sitzungstischen, stumm einander anschauend und den schwatzhaften Kreativen vorwurfsvoll auf den Mund starrend? Vieviele Sitzungsstunden, ja -tage werden so weltweit einfach verschwiegen? Wieviele Wochen, gar Monate an Sitzungszeit vertröpfeln so in stumm übereinstimmender Schweigsamkeit?
Als ich das im Stillen während der letzten Ausschussitzung ausrechnete, hat es mir auf der Stelle die Sprache verschlagen.
chamäleon123 - 16. Apr, 09:00
Was ganz genau bedeuten eigentlich die angelsächsischen
XXX
am Schluss von Briefen?
Küsse?
Grüsse?
Alles Liebe?
Was?
Was!?
chamäleon123 - 10. Apr, 16:34